Rückwirkende Anwendung eines neuen Bewertungsstandards?
OLG Düsseldorf, Beschl. v. 18. August 2014 – I-26 W 9/12 (AktE) (LG Düsseldorf)
Leitsatz des Gerichts:
Bei der Unternehmensbewertung in Spruchverfahren sind im Regelfall die am Bewertungsstichtag geltenden Bewertungsgrundsätze anzuwenden. Eine rückwirkende Anwendung eines neueren Bewertungsstandards kommt insbesondere dann nicht in Betracht, wenn dies für die seinerzeit beteiligten Unternehmen und Minderheitsaktionäre zu nicht vorhersehbaren, erheblichen Veränderungen des Unternehmenswerts und damit der Barabfindung führen würde (hier die rückwirkende Anwendung des IDW S1 2005).
Das Gericht hat entschieden, dass die Beschwerdesache bezüglich der Frage, ob und ggf. unter welchen Umständen eine in der Wirtschaftswissenschaft angewendete Bewertungsmethode, hier des IDW S1 2005, rückwirkend anzuwenden ist, dem BGH zur Entscheidung vorzulegen ist.
Das Gericht führt u.a. aus, dass IDW-Standards sowie die sonstigen Verlautbarungen des Fachausschusses Unternehmensbewertung und Betriebswirtschaft (FAUB) anerkannte Expertenauffassung und Erkenntnisquelle für das methodisch zutreffende Vorgehen bei der Ermittlung des Unternehmenswerts sind.
Da es sich bei dem IDW um eine private Institution ohne Rechtsetzungsbefugnis handelt, haben die Empfehlungen keine Rechtsnormqualität. Die Verlautbarungen des IDW werden – trotz der dagegen vorgebrachten Kritik – jedenfalls vom Berufsstand der Wirtschaftsprüfer im Grundsatz anerkannt und bei Unternehmensbewertungen in der Praxis ganz überwiegend beachtet.
(Quelle: ZIP 49/2014, S. 2388)
Stärken und Schwächen gängiger Bewertungsverfahren
Das Anliegen von Seppelfricke (Handbuch Aktien- und Unternehmensbewertung, Stuttgart 2007) ist es „[…] sowohl die wissenschaftlich anerkannten Methoden (DCF-Verfahren, Ertragswertverfahren, Substanzwertverfahren, Realoptionen) als auch die weit verbreiteten Praktikeransätze (Multiplikatorverfahren) verständlich darzustellen sowie ihre praktische Eignung aufzuzeigen. […]“
(Quelle: Seppelfricke, a.a.O, Vorwort zur ersten Auflage)
Kritik an gängigen Unternehmensbewertungsverfahren
In ihrem Buch „Unternehmensbewertung auf dem Prüfstand – Wissenschaftliche Widerlegung US-amerikanischer Unternehmensbewertungskonzepte“ (Wien 2008) fordern Haeseler/Hörmann Unternehmenskäufer, -verkäufer, Gutachter und Richter dazu auf, in ihrer täglichen Praxis innezuhalten und sich aufgrund der von den Autoren präsentierten Argumente zur mangelnden wissenschaftlichen Tauglichkeit der angegriffenen Methodik eine eigene Meinung zu bilden.
In diesem Sinne: Sapere aude!